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Auszug aus der Mitteilung – Schöpfung

„Lass jubeln alle Bäume des Waldes“

In der Schöpfungszeit, die die Kirchen jährlich in der Zeit vom 1. September bis 4. Oktober begehen, geht es um unsere Beziehung zur Natur und darum, für die Gabe der Schöpfung zu danken. Mit dem diesjährigen Motto aus Psalm 96: Lass jubeln alle Bäume des Waldes! stehen die Bäume im Vordergrund. Können Bäume jubeln? Die Arbeitsgemeinschaft der Christlichen Kirchen schreibt, dass den Wäldern „in der aktuellen Zeit wenig Grund zum Jubeln gegeben“ ist, und betont, dass „das Ökosystem Wald einer der größten und wichtigsten Faktoren für die Schöpfungsbewahrung“ ist. Was können wir tun, damit die Bäume jubeln können? 

Papst Franziskus

In seiner Enzyklika „Laudato Si“ lädt Papst Franziskus ein, in der Natur die Botschaft Gottes wahrzunehmen. Mit Worten von Papst Johannes Paul II. weist er darauf hin: „Die Schöpfung zu betrachten bedeutet …, eine Botschaft zu hören, eine paradoxe und lautlose Stimme wahrzunehmen“ (vgl. Laudato Si’, Nr. 85). Papst Franziskus spricht gerne von der Transparenz der Schöpfung: Jedes Geschöpf ist unentbehrlich und jedes überbringt uns eine eigene Botschaft. Die Natur spricht zu uns vielfältig. Wie können wir diese Sprache wahrnehmen, sie lernen und so die Verbundenheit mit der Natur pflegen? Er spricht von der Notwendigkeit einer neuen Verbundenheit des Menschen mit der ganzen Natur: „Das heißt, wir müssen anerkennen, dass das menschliche Leben ohne andere Lebewesen nicht verstanden und nicht aufrechterhalten werden kann.“ (Laudate Deum, Nr. 67)

Gertraud von Bullion

Gertraud hat die Natur geliebt und die Sprache der Bäume wahrgenommen. Sie hat sie für sich und für andere symbolisch gedeutet. In den Vorgängen der Natur vernahm sie eine Botschaft für die Vorgänge in der Seele: in ihrer Entwicklung, in ihrer Beziehung zu Gott, in der Vergänglichkeit des Menschen, aber auch in der Verheißung des neuen Lebens. Einige Beispiele ihrer Betrachtungen laden uns zu einer eigenen Kommunikation mit der Natur ein, sie zu entfalten und zu vertiefen. 

Das Blühen der Bäume im Frühling

„Wenn ich im Frühling einen blühenden Baum sehe, muss ich immer an eine Seele denken, die im Brautschmuck der Gnade steht, und aus dem Herzen steigt jedes Mal die Bitte: Herr, lass auch meine Seele übersät sein mit Blüten, die die Liebe hervorbringt. Denn wenn die Bäume blühen, lieben sie – und wenn eine Seele liebt, blüht sie in Gottes Augen herrlicher als ein mit Blütenschnee überladener Birnbaum. Wie viele Blüten aber muss ein Baum treiben, um nur einige Früchte zu tragen? Wie oft muss sich unser Herz zum Schwur der Liebe erheben, bis ihm die Kraft zur Opferfrucht wird? Viel Blüten muss ein Baum tragen, bis er eine Frucht zeitigt, viel Liebe muss in einer Seele glühen, bis sie zum Opfern fähig wird.“

Der Vergleich der Blüte der Bäume mit der Liebesfähigkeit der Seele führt Gertraud zum Gedanken der Fruchtbarkeit. In beiden Fällen geht der Weg über das Opfer: Die Blüte muss ihre Pracht „opfern“, um Frucht zu ermöglichen. Ähnlich ist es im Leben, auch im geistlichen Leben des Menschen. Auch da braucht es viel Liebe, die erst im Sichopfern Früchte bringt. Zurecht beobachtet Gertraud das Missverhältnis zwischen der Fülle der Blüte und der tatsächlichen Fruchtbarkeit des Baumes. Möglicherweise spricht sie aus eigener Erfahrung. Der blühende Birnbaum hilft, diesen Vorgang zu verstehen.

Das „Kahl-Werden“ der Bäume im Herbst

Das Streben nach der größtmöglichen Standesvollkommenheit bedeutet, „eine möglichst vollkommene Selbstlosigkeit – ein ‚Kahl-Werden‘ vom Ich, ein Weggeben auch von der letzten Anhänglichkeit. Das ist schwer, ja es bedarf dazu der Novemberstürme und der kalten Nachtfröste, und die Menschen ziehen sich zurück, weil ihre Augen nichts greifbar Schönes und Wertvolles an uns mehr sehen. Das tut weh – aber wenn wir den Mut haben zu fragen: was nützt mir die Anhänglichkeit an irdische Dinge, was nützt mir der Menschen Urteil und Gunst für die Ewigkeit – dann freuen wir uns um jedes Blatt – um jedes Ding – das der Novembersturm von unsern Ästen reißt, damit wir uns mehr und mehr auf Gott, unsern Ursprung, unseres Daseins Wurzel konzentrieren und besinnen.“

In dem Vorgang des Kahlwerdens der Bäume sieht Gertraud ein Bild für den Vorgang eines Reifungsprozesses. Den Menschen zieht es mit der Zeit immer mehr hin zu seiner Wurzel, zum Ursprung seines Seins, zu Gott. Wer bin ich, wenn der Frühling der Jugend vorbei ist? Wenn die Schaffenskraft nachlässt? Wenn die Fruchtbarkeit nicht mehr da ist? Gertraud sieht in dem natürlichen Vorgang des Kahlwerdens der Bäume den Weg zu einer größeren Selbstlosigkeit, zu der der Mensch im Laufe seines Lebens heranreifen darf. Die „Novemberstürme“ helfen bei diesem nicht einfachen Vorgang. Die Bäume im Spätherbst mit den „im letzten Tanz“ wirbelnden Blättern sind ein sprechendes Bild dafür.

Ein Tannenästchen mit Schneeflocken

„Als ich seinerzeit im Schwarzwald war, hatte ich vorn an der Liegehalle ein Tannenästchen angebracht. Eines Morgens fielen die Schneeflocken drauf, und ich konnte beobachten, wie von Viertelstunde zu Viertelstunde das Zweiglein sich beugte und wie immer mehr Flocken darauf niederfielen. Es war kaum zu begreifen, wie dies schwache Ästlein eine Schneelast von mindestens 15 Zentimetern Höhe zu tragen vermochte. Damals erfasste mich gar übermächtig der Gedanke an die von der Gnade überschüttete Seele. Und unwillkürlich muss ich dies Bild mit jenem der kahlen Bäume verbinden. Unhörbar senkt sich die Gnade nunmehr herab, und sie allein bildet jetzt den blendenden Schmuck der Seele. Wenn nun die Menschen in Rufe des Entzückens ausbrechen, den Baum in Freuden betrachten und bewundern, so ist es der Schnee und nicht der Baum, den sie bewundern. So möge es auch einmal bei uns werden: das Gnadenwirken mögen die Menschen, die dafür Sinn haben, an uns bewundern – wir selbst, unsere Kahlheit und Nacktheit verschwinden dann mehr und mehr unter der überfließenden Güte Gottes!“

Auch in diesen Worten liegt die Frucht des Beobachtens der Natur. Die Gnade ist es, die dem Menschen die eigentliche Schönheit verleiht, aber dafür braucht es zunächst den Vorgang des Kahlwerdens (s.o.). So veranschaulicht auf ansprechende Weise der Zyklus der Natur die innere Entwicklung des Menschen. Gott ist immer dabei. Er ist es, der die Blüte der Liebe schenkt, damit der Mensch Frucht bringen kann. Er lässt zu, dass er mit der Zeit immer mehr leer werden und sich auf seine Wurzel besinnen kann. Er ist es schlussendlich, der uns mit der Gnade seiner Gegenwart schmückt und bedeckt, und der mit uns auf dem Weg zu unserer eigentlichen Schönheit und Identität ist.

Meine Beziehung zur Natur

Wie ist meine Beziehung zur Natur, zu den Bäumen? Welche Bäume mag ich besonders? Verstehe ich ihre Sprache? Die herbstliche Zeit stellt uns die Welt der Bäume in besonderer Pracht vor Augen. Welche Botschaft höre ich heraus? 

Alicja Kostka

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