Schon sehr früh verspürte Gertraud den Wunsch in sich, in der Zukunft Missionsschwester zu werden und den Menschen Christus zu bringen. Diese Sehnsucht hielt bei ihr konstant an, auch wenn es zunächst unklar war, auf welchem Weg sich dieser Wunsch erfüllen kann. Nach ihrer umfassenden Ausbildung, auch in anderen Ländern (Österreich, Belgien, England), kam sie 18-jährig nach Augsburg zurück. Ihr Vater wollte seine hübsche Tochter bald verheiratet sehen. Diesem Vorhaben hielt die junge Gräfin entschieden entgegen. Auch nach ihrer Rückkehr vom Kriegsdienst 1918, als sie schon 27 Jahre alt war, ließ der Vater nicht nach. Aber auch Gertraud ließ nicht nach, auch wenn es einen konkreten Mann gab, der sich ernsthaft für sie interessierte. Sie blieb im Hinhören, wohin sie der liebe Gott haben möchte. Nicht immer war es einfach, diese Ungewissheit auszuhalten. Ein Ausdruck des Suchens und Wartens auf ein Zeichen findet sich in ihrer Korrespondenz mit Nikolaus Lauer, einem Theologen, den sie im Kriegslazarett als Sanitätsoffizier kennengelernt hatte und der später zu ihrem Biographen wurde:
„Beten Sie, ich bitte recht herzlich drum, auch für mich, ich bedarf bes. Hilfe, um Gottes hl. Willen f. meine Zukunft zu erkennen.“ (30.3.1919)
Werkzeug für Gottes Barmherzigkeit sein
Damit verband sich die Sehnsucht, für Gott konkret tätig zu sein, was sie in den Kriegsjahren als Rotekreuz-Schwester auf vielfältige Weise tun konnte. Auch davon verraten die Zeilen, die sie an Nikolaus Lauer richtet. Sie drückt ihre Hoffnung aus, dass das Feuer, welches sie im Herzen verspürt, bald wieder nach außen verschenkt werden kann:
„Draußen, da durft’ ich manches Mal das arme Werkzeug für Gottes Barmherzigkeit sein, das will ich Ihm immer danken, u. nie kann ich es vergessen. Dies allein lässt mich meine häusliche Tätigkeit oft so schwer empfinden, dass ich nun so gar nichts mehr tun kann. Dass ich Ihnen auch mein stürmisches Drängen vermachen könnte u. Sie beflügeln könnte in Ihrem Streben, dass Sie für mich mitwirken könnten! Ist dies himmlische Feuer nicht unser höchstes Glück u. Leid in einem?“ (ebd.)
Im Vertrauen auf göttliche Führung
Das Feuer der Berufung, des Teilen-Wollens, brennt in ihrem Herzen als Zeichen der Berufung für etwas mehr als nur „häusliche Tätigkeit“. Im Wahrnehmen dieser Sehnsucht vertraut sie auf göttliche Führung: er ist es, Gott, der sie ganz für sich haben möchte. So beschreitet sie den Weg der Ergebenheit in den momentan so unbegreiflichen Willen Gottes:
„Wie lange werde ich meiner direkten Berufung noch harren müssen? Wenn ich nur nicht inzwischen unbrauchbar geworden bin! Doch – ‚Wie Gott es will, so beuge dich …‘, oft sangen wir’s draußen, nun singen wir’s nimmer, sondern leben es.“ (ebd.)
Der Tag kommt, wo ich ihm ganz gehören darf
In dieser Zeit des Hinhörens und Ausharrens reift in ihr die innere Überzeugung, Gott möchte sie ganz für sich haben. Auch diese Freude teilt sie mit Nikolaus Lauer, der sich auf dem Weg zum Priestertum befindet und diese Sehnsucht Gertrauds gut verstehen kann:
„Ja, mein lieber Lauer, mit glück- und dankerfülltem Herzen darf ich’s sagen, dass unser lieber Jesus mich für sich haben will, nur hat er mir vorerst eine noch unbegrenzte Wartezeit bestimmt im Dienst meines Vaters, doch wird der Tag kommen, wo ich ihm ganz gehören darf. Beten Sie, dass ich dieser Gnade würdig werde.“ (5.12.1919)
Nur in Ihm allein das Glück und die Ruhe
Auch ihre nach der Rückkehr vom Krieg ausgebrochene Krankheit (Tuberkulose) vermag diese Sehnsucht nicht anzuhalten; im Gegenteil, in stillen Tagen des Ausruhen-Müssens und Allein-Seins bestätigt sich diese Sehnsucht, ja sie steigert sich gar, wie das in folgenden Worten – wieder in einem Brief an Lauer – zum Ausdruck kommt:
„Erst jetzt, wo ich wieder im Betrieb des elterlichen Haushalts stehe, erkenne ich, was für eine Gnadenzeit die Wochen des Krankseins waren, wo die Seele so viel allein war u. die Ruhe u. Stille die Gedanken ganz von selbst zu Gott lenkten! Sie kann eben einmal nur in Ihm allein ihr Glück, ihre Ruhe finden! Wann endlich wird der Tag kommen, der mich für ganz zu Gott führt, um nicht mehr durch Tausende von Äußerlichkeiten von ihm abgehalten u. abgelenkt zu werden?“ (1.8.20)
Gott bleibt treu
Diese Sehnsucht durfte in der Weihe an die Gottesmutter von Schönstatt am 8.12.20 ihre Erfüllung finden. Im gerade entstehenden Apostolischen Bund und der keimenden Frauenbewegung Schönstatts fand sie ein reiches Feld der Betätigung für ihren apostolischen Geist. In der Lebensweihe vom 16. April 1925 konnte diese Sehnsucht ihre endgültige Erfüllung finden. Es brauchte aber die Jahre des sensiblen Hinhörens und Ausharrens, bis es soweit und so klar war. Dies ist ein Teil unseres Lebens mit Gott. Gertraud fand ihren Platz, den ihr Gott zugedacht hat. Und sie schenkte sich überreich, bis zur Hingabe ihres Lebens.
Und dadurch, dass sie allein geblieben ist, konnte sie ihren Vater bis zu seinem Heimgang pflegen und bei ihm sein. Welch eine Fügung!
Dr. Alicja Kostka