Heilige von nebenan – Kontemplation inmitten des Handelns

Kontemplation inmitten des Handelns

In seinem Schreiben Gaudete et exultate lädt Papst Franziskus alle Christen zu einer Heiligkeit ein, die eine Balance zwischen Gebet und Aktivität kennt:

Es ist nicht gesund, die Stille zu lieben und die Begegnung mit anderen zu meiden, Ruhe zu wünschen und Aktivität abzulehnen, das Gebet zu suchen und den Dienst zu verachten. Alles kann als Teil der eigenen Existenz in dieser Welt akzeptiert und integriert werden und sich in den Weg der Heiligung einfügen. Wir sind aufgerufen, die Kontemplation auch inmitten des Handelns zu leben, und wir heiligen uns in der verantwortlichen und großherzigen Ausübung der eigenen Sendung. (GeE, Nr. 26)

Sehnsucht nach Jesus – Stärkung in der Begegnung

Die Integration von Gebet und Handeln, von Ruhe und Aktivität hat Gertraud mitten in ihrem Alltag gelebt. Wo immer sie war, erkundigte sie sich als erstes nach einer Möglichkeit zur Teilnahme an einem Gottesdienst, dem Empfang der heiligen Kommunion und der eucharistischen Anbetung. Die Eucharistie war die Quelle für ihr Gleichgewicht inmitten der steigernden Herausforderungen, die das Leben in der schwierigen Kriegs- und Nachkriegszeit mit sich brachte. Dies trifft ebenso auf den Umgang mit den Einschränkungen, die ihre fortschreitende Krankheit mit sich brachte, zu. In der Stille, im Gebet und im Empfang der heiligen Kommunion schöpfte sie Kraft, aber nicht nur für sich persönlich. Erfüllt von Christus und als Apostel in seiner Nachfolge gestärkt, ging sie heraus in der Haltung: Ich bin für dich da! 

Aus ihrem ersten Kuraufenthalt in Schömberg (Nordschwarzwald) schrieb sie an Marie Christmann:

Mir geht’s gesundheitlich ordentlich, was ich hier entbehre, ist die Kirche. Nur jeweils montags ist eine heilige Messe und Kommuniongelegenheit, sonst gibt’s nur Liegekuren. Schömberg ist Diaspora! (25.3.1922)

Eine Liebe, die sich mitteilen möchte

Im Briefapostolat: Ich bin für dich da!

Im Gebet verankert, stand Gertraud durchgehend im intensiven – vor allem brieflichen Kontakt – mit vielen Menschen: mit Familienangehörigen, Freunden, den Mitgliedern des Apostolischen Bundes. Es war kein oberflächliches, auf eigene oder äußere Angelegenheiten konzentriertes Schreiben, wie die vielen Briefe bezeugen. Auch war es nicht nur eine schöne literarische Kunst, wofür sie wirklich ein Talent hatte. Ihre Schriften sind durchdrungen von ihrer persönlichen religiösen Erfahrung, die sie anderen ganz einfach mitteilte, ohne sich aufzudrängen oder sie zu belehren. Ihre Briefe waren ein einladendes Brückenbauen, ein feines Entgegenkommen von Herz zu Herz. Sie zeugen von einem tiefen Einfühlungsvermögen in die Adressaten. So wuchs ein seelisches, dauerhaftes Miteinander.

Ein Beispiel ist der Brief, den Gertraud von ihrem zweiten Kuraufenthalt in Schömberg an Maria Heißing schrieb:

Weißt Du, Mariele, ich habe mir heuer für uns eine Fastenübung ausgedacht, die so ganz zu Deiner Fahrt und zu meinem Einstand in Augsburg passt, und zwar die Freude. Jene tiefe, innere Freude, die den Dank und die Liebe auslöst. Wir wollen in jedem Lichtblick, kommt er nun zu uns durch Menschen oder auch durch die Natur, eine Aufmerksamkeit des lieben himmlischen Vaters erkennen, uns seiner Güte dankbar freuen, und dann drängt sich von selbst der Ruf auf unsere Lippen: „Vater, auch ich hab‘ dich lieb, wie gut bist du!“ (4.3.1927)

– Im konkreten Helfen: Ich bin für dich da!

Der hochgradigen Kunst des Schreibens als ein Weg des Miteinanders und des Apostolates verband Gertraud mit dem ganz einfachen und selbstverständlichen Dasein in ihrer Familie und in dem Umkreis, in dem sie sich bewegte: Die Pflege des kranken Vaters, das Beistehen ihrer Schwägerin als sie Witwe wurde, die Sorge um ihre Haushaltshilfe, die seit Kindheitstagen für sie da war und die nun im Alter Hilfe benötigte… Überall war Gertraud unterstützend und ausgleichend da.

– Im Aufbau der neuen Gemeinschaft: Ich bin für dich da!

Mitten in diesen täglichen Diensten war Gertraud am Auf- und Ausbau des Apostolischen Bundes mit verantwortlichen Posten von Anfang an maßgeblich beteiligt. Sie setzte sich für die Profilierung der neuen Gemeinschaft von innen her ein. Das tat sie auch durch Briefe, direkte Kontakte, Begegnungen und Organisation. Aber auch hier blieb sie nicht der Theorie verhaftet. Gertraud diente der Gemeinschaft in den ganz alltäglichen Nöten. Sie packte zu, holte die Teilnehmerinnen, die zu den der Tagungen anreisten, vom Bahnhof ab, kümmerte sich um die Ausstattung des Hauses und die Organisation von Exerzitien. Ebenso rang sie um den Geist und das Profil der Gemeinschaft, pflegte gute Tischgespräche und sorgte stets für eine gute Atmosphäre.

Ernestine Gerstner, eine der ersten Mitstreiterinnen Gertrauds, gibt 1934 folgendes Zeugnis:

„Was uns Gertraud so lieb und vertraut machte, war ihr echter, schlichter Dienmut. Nichts von Geltungsdrang, nichts von Wichtigtuerei. „Aus Christuserfülltheit heraus den andern die Füße waschen“, das war so recht ihre Grundhaltung. Wenn sie zuweilen in mein Schulhaus zu Besuch kam, war es ihr selbstverständlich, die ganze Wohnung zu ordnen und pünktlich stand das von ihr selbst bereitete Mittagessen auf dem Tisch. In Schönstatt war sie immer am Kofferschleppen, wenn wir kamen und gingen; auch mit dem Handleiterwagen konnte sie an der Bahn stehen und unser Gepäck in Empfang nehmen. So bereit sie zu allem war, so neidlos konnte sie wieder zurückstehen.“

Gertraud lebte eine Balance zwischen Kontemplation und Aktivität, die Leben ermöglichte und förderte. In dieser Balance bleibend, ging sie den Weg der Heiligung des Alltags! Schöpfend aus der Quelle des Gebetes, da sein für die Menschen und Aufgaben, die Gott ihr jeden Tag anvertraut.

Impuls

  • Stille und Begegnung
  • Ruhe und Aktivität
  • Gebet und Dienst

Wie ist die Balance in meinem Leben?
(Siehe oben: Auszug aus dem Schreiben Gaudete et exultate)