Die Erkenntnis der eigenen Armut als ein adventlicher Weg zur Krippe
In dem umfangreichen Briefverkehr von Gertraud von Bullion finden sich zahlreiche seelsorgerliche Briefe. Sie antwortet einer jungen Frau, Marie Heißing, die sich beklagt, dass sie auf ihrem Weg zur Krippe, also auf Weihnachten hin, „nichts zum Schmücken“ hatte. Damit meinte sie vor allem gute Werke, kleine Verzichte und Überwindungen. Zur damaligen Zeit war es guter Brauch, mit diesen Opfern im Advent die Wiege für Jesus zu bereiten, sie gleichsam wie warmes Stroh dem Neugeborenen in seine ärmliche Wiege zu legen. Auch heute greifen viele Menschen diesen Brauch auf und bereiten sich auf Weihnachten, der Geburt Jesu, vor. Gertraud geht auf die „Selbstanklage“ von Marie Heißing ein und öffnet ihr den Blick für eine positive Deutung.
„Im Übrigen, …, was Du vom „Nichts-haben-zum-Schmücken“ schreibst, ist nicht so schlimm. Schöner und uns selbst schmeichelhafter ist es natürlich, wenn wir uns vieler Opferblümlein bewusst sind. Aber ob dem Jesulein nicht die Erkenntnis und das Bekenntnis unserer geistigen Armut wertvoller ist als unsere Befriedigung über eine gut gelungene Adventszeit?“
Aus Erfahrung
Vielleicht schreibt Gertraud das aus eigener Erfahrung, voll Verständnis für die Ideale dieser jungen Frau und Anwärterin für den Apostolischen Bund, der Gemeinschaft, der Gertraud angehört. Dabei greift sie die spirituelle Erfahrung vieler Menschen über Jahrhunderte auf und belegt eindeutig, dass die Niederlagen und „das demütige Bewusstsein davon“ zum Weg des Menschen zu Gott immanent dazu gehören. Aufmerksam ermuntert sie ihre Adressatin und spannt einen Hoffnungs- und Wachstumshorizont über ihren Fragen auf:
„Da stand übrigens am ersten Adventsonntag ein sehr feiner Gedanke im Kirchenblättle: Zum Adventerleben (also auch Weihnachterleben) gehören die täglichen Niederlagen und das demütige Bewusstsein davon – sie sind ein natürlicher Bestandteil des Menschenweges zu Gott. – Der Gerechte fällt sieben Mal, steht aber wieder auf, und beim siebten Aufstehen ist er stärker als morgens beim ersten Fall. Trage Dein tägliches Elend und werde nur eigensinniger in der Beharrung zum Ziel. Dieser heilige Eigensinn ist auch ein Advent.“ (Aus dem Brief an Marie Heißing, 20.1.1927)
Erkennen und Bekennen
Vielleicht können diese Sicht und diese Erfahrung uns auf unserem adventlichen Weg helfen, unseren Blick zu weiten, um in dem Misslungenen einen nicht geringen Beitrag für die Bereitung der Krippe für Jesu zu erkennen. Wenn diese Erfahrung der eigenen Grenzen und des Scheiterns mit einer ehrlichen Haltung zu Jesus, dem Kind in der Krippe, gebracht werden, erblühen sie in seinen göttlichen Händen. Das Erkennen und Bekennen eigener Schwächen ist ein lebenslanger Lernprozess. Gertraud hat es durch ihre Krankheit, die sie oft innerlich gelähmt und einsatzunfähig gemacht hat, noch und noch erlebt. Ihre Erfahrung und Ermunterung ist gleichsam eine Einladung, dieser Haltung Raum zu geben und aus den Scherben kleine Adventsgaben zu machen.
Dr. Alicja Kostka