Die Freude an der Natur miteinander teilen

Gertrauds Sensibilität für die Schönheit und die Sprache der Natur sind bekannt. Sie verbindet die Ereignisse in der Natur mit den Vorgängen ihres Herzens, mit dem, was sie als Wachstum oder als Gnade im eigenen Inneren empfindet. Ein zweites Charakteristikum ihrer Persönlichkeit ist es, die Freude über das Erlebte mit jemandem zu teilen, die Freude des Geschenkes nicht für sich zu behalten. Die Verbindung dieser zwei Eigenschaften finden wir in einem Brief, den Gertraud aus der Kur in Kronberg/Taunus an Maria Heißing schrieb. Sie ist eine etwas jüngere Brieffreundin und Interessentin für den Apostolischen Bund. Hier einige Auszüge aus dem Brief vom 13. Mai 1925:

Weißt, ich habe noch kaum einen Frühling so genossen wie dieses Jahr. Wenn es auch anfangs trübe und kühl war, wir konnten doch jeden Tag draußen sein und wenigstens durch die Anlagen gehen. Jetzt aber bietet uns der jung-grüne Buchenwald tausend Freuden, und die Hänge der Taunus-Ausläufer mit den blühenden Apfelbäumen sind unser ganzes Entzücken.

Hand in Hand (hinein) in den blühenden Mai

Und dann kommt die Freude des gemeinsamen Teilens des Erlebten, die Sehnsucht nach einem Du, welches diese Freude mitempfinden und nachvollziehen kann. In den folgenden Worten klingt auch mit, dass Gertraud die Möglichkeit eines ausgiebigen Verweilens in der Natur nicht selbstverständlich hinnimmt. Dass sie durch ihr Kranksein während der Liegekuren die Natur genießen kann, erfüllt sie immer mit Dankbarkeit und einem mitfühlenden Herzen. Sie denkt an viele, die diese Möglichkeit nicht so haben, die in ihrer Arbeit gefangen bleiben müssen: 

Wie gerne würde ich mit Dir eine Wanderung machen, so Hand in Hand hinein in den blühenden Mai, Sonne im Auge und Frühling im Herzen. Mir ist so leid, dass ich all das Schöne allein haben soll und dass alle, die mir so lieb, in den engen Stuben ihrer Arbeit nachgehen müssen. Weißt, da schäme ich mich, dass ich es so unverdient gut habe, und doch kann ich wieder nicht anders, als mich freuen und Dankeschön sagen.

Franziskus-Augen – auch im Alltag

Und dann kommt wieder das symbolhafte Denken zum Tragen, wenn sie von inneren Vorgängen in sich spricht, die auch die Briefadressatin betreffen. Sie spricht von „Franziskus-Augen“, die ihr geschenkt worden sind und die sie für die Sprache der Natur empfänglich machen. Diese Augen möchte sie auch im kommenden Alltag behalten, wenn der Kontakt mit der Natur nicht so direkt und ausgiebig sein kann:

Ja, mein liebes Mariele, ich hätte Dich so gerne hier, denn weißt Du, nicht nur um mich grünt und blüht es, nein, die Gottesmutter hat auch von meinem Herzen den Schnee und das Eis des Winters genommen, das mein ganzes Wesen (leider auch Dir gegenüber) so kalt und unfroh gemacht hat. Ich glaube, jetzt würdest Du im Bund mehr Lebensbejahung finden, weil der Heiland mir ein wenig Franziskus-Augen geliehen hat. Ich müh’ mich fleißig, seine Art zu lernen, damit ich auch daheim im Alltag den klaren, frohen Blick behalte.

 Dr. Alicja Kostka


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