In seiner Liebe wachsen

Den Sinn der Beichte neu zu entdecken

Am Sonntag der Barmherzigkeit, dem 11. April 2021 ermutigte Papst Franziskus erneut alle Gläubigen dazu, das Sakrament der Buße zu empfangen. Er hat es als das „Ostergeschenk“ bezeichnet, in dem wir die Vergebung im Heiligen Geist empfangen, die uns eine innere Auferstehung ermöglicht. Er hat die Beichte als „das Sakrament der Auferstehung“ genannt und mit dem Bild eines gütigen Vaters verglichen, der uns, den kleinen Kindern, die fallen, immer wieder auf die Beine hilft. Wer die Beichte entgegennimmt, muss die Schönheit des göttlichen Erbarmens spürbar werden lassen – so Papst Franziskus.

Gertraud von Bullion und das Bußsakrament

Gertraud von Bullion hat das Bußsakrament sehr geschätzt und es häufig empfangen. Aufgrund ihrer Erfahrung ist sie zu der Überzeugung gekommen, dass durch die Beichte letztendlich mit einem Wachstum in der Liebe beschenkt wird. Einer jüngeren Frau, die sich mit der häufigeren Beichte offenbar schwer tat, versuchte Gertraud den tieferen Sinn dieser Praxis zu erschließen. Sie verweist ihre Gesprächspartnerin darauf hin, dass die häufigere Beichte einem mit einer größeren Sensibilität für Christus beschenkt und „feinfühliger“ macht. Sie schreibt ihr:

„Wir meinen so gerne, ja was soll ich denn sagen, so oft – es ist immer das alte Lied. Sicher, es liegt die Gefahr der Gewohnheit in der häufigen heiligen Beichte, aber es ruht auch ein großer Segen darauf. Wir werden feinfühliger gegen den Heiland und was ihm weh tut. Und wenn wir von Anfang an das Hauptaugenmerk auf einen energischen Vorsatz in einem einzigen, besonderen Punkt legen, dann ist die Sache gewonnen.“ 

Der theologische Sinn

Gertraud verweist dabei auch auf den theologischen Sinn der Beichte: als Sakrament ist es die Frucht des Leidens Christi für uns. Wenn wir den Mut haben, zu beichten, dann wachsen wir letztendlich in der Liebe Christi und werden freier für sein Wirken, für seine uneingeschränkte Präsenz in uns. So stellt sie die Beichte im Dienst des menschlichen, ja des christlichen Wachstums. 

„Was wollen wir denn letzten Endes? Wir, die uns der Heiland so unverdienter Weise vor schwerer Schuld bewahrt? Wir wollen in seiner Liebe wachsen, d. h. ein »alter Christus« werden, immer reiner werden von jeder Sündenmakel, von jeder bösen Neigung, von der übertriebenen Anhänglichkeit und Liebe zu den Geschöpfen und irdischen Dingen, die uns im Wachstum der Liebe hemmen.“ 

Frei werden

Damit ist ein Weg gezeichnet, der den Menschen freier machen will: freier von sich selbst – dem eigenen Ich – und damit aufnahmefähiger für Gott. Man spürt aus diesen Gedanken, wie sehr Gertraud aus eigener Erfahrung spricht und der Gesprächspartnerin, die eine Suchende ist, Anteil am eigenem Weg gibt. 

„Schau, und bei jedem Bekenntnis in der heiligen Beichte, bei jedem »mea culpa« am Abend bröckelt ein bissl Eigenliebe und Selbstgenügen von uns ab, weil wir unsere Schwäche erkennen, und um jedes Quäntchen Ich, das sich aus unserem Herzen beschämt davonschleicht, zieht der Heiland mehr in sein Königreich ein, bis er ganz allein der Herrscher ist, wie wir’s ihm so oft geloben und versichern.

Papst Franziskus

In seiner Ansprache an die Teilnehmer eines Kurses für Beichtväter am 12. März dieses Jahres stellte Papst Franziskus das „Wunder der Wandlung“ durch die Begegnung mit der Liebe Christi in den Mittelpunkt des Beichtgeschehens:

„Der Pönitent, der im sakramentalen Gespräch einem Strahl dieser einladenden Liebe begegnet, lässt sich von der Liebe, von der Gnade verwandeln und beginnt, jene Verwandlung eines Herzens aus Stein in ein Herz aus Fleisch zu erleben – eine Verwandlung, die sich in jeder Beichte vollzieht. So ist es auch im affektiven Leben: Man wird durch die Begegnung mit einer großen Liebe verändert.“

Im Gertrauds Zeugnis spüren wir, dass sie die Beichte selbstverständlich in diesen ureigenen Kontext der Liebe stellt. Dies ist sehr wichtig, um das Bußsakrament richtig zu verstehen. Für Gertraud ist die Beichte ein Ausdruck der Liebe, die für die Begegnung mit größeren Liebe disponiert. Ein eher fraulicher Blick auf die Beichte, die sie in dem ganzheitlichen Kontext zu sehen erlaubt? Auf jeden Fall ein ergänzender Blick, der zur Neuentdeckung dieses Sakramentes beitragen kann. Und wir spüren: ihre Worte kommen aus dem Inneren, sie kommen aus Erfahrung. Und diese Erfahrung überzeugt.

 Dr. Alicja Kostka