Anregung für die Fastenzeit
In der österlichen Bußzeit nehmen wir uns Zeit, mehr auf uns zu schauen und uns im Anblick unseres Herrn und Erlösers auf das Wesentliche auszurichten. Wir wollen offener und empfänglicher für Gott, seine Wünsche und Pläne werden. Nicht nur einmal müssen wir dabei erkennen, dass wir immer wieder in die dieselben Fallen tappen, die unserer Natur anhaften und die wir eigentlich gut kennen. Die Trägheit macht sich breit und wir erschrecken über uns.
Nicht anders war es bei Gertraud. Zu gut kannte sie diesen Zustand, der ihr mit ihrem cholerischen Temperament stark auffiel, aber dann auch zunehmend durch ihre Krankheit mitbedingt war. Sie stellte sich ihm in aller Ehrlichkeit. Erneut in einem Brief vom 30. Nov. 1923 an Nikolaus Lauer, mit dem sie ihre Begeisterung für den Apostolischen Bund von Schönstatt teilte und ihn für diese Gemeinschaft gewonnen hat, schreibt sie:
Ave Maria!
Augsburg, den 30. November 1923
Ew. Hochwürden! Lieber Herr Lauer!
Viel tausendfach Vergelt’s Gott für Ihre guten Wünsche u. Ihren Brief. Es war, als ob Sie in meiner Seele gelesen hätten, um mir gerade über das zu schreiben, was augenblicklich im Brennpunkt meines geistlichen Lebens steht. Oder aber es war unsere himmlische Mutter, die es so fügte, um ihr ärmstes Kind endlich, nach monatelangem Zaudern, herauszureißen aus seiner Lethargie!
Ja, die Lethargie… Manchmal erlaubt sie sich, mehr Raum in uns einzunehmen und es braucht mehrere Anschübe, um sich aus ihr zu erheben. In dem Stichwort: Adlerseele, das Gertraud von Nikolaus Lauer in einem Brief geschenkt wurde, findet sie einen Antrieb, mit dem sie einen neuen Anfang starten kann. In diesem Bild sieht sie eine Ausrichtung für das innere Leben der Christen. Sie äußert ihre Erkenntnis, dass das beim Mittelmaß-Bleiben eigentlich nicht zufriedenstellend ist, auch wenn die Tendenz dazu sich immer neu anbahnt und einen geheimen „Schleichweg“ in die Seele findet:
Wie Recht haben Sie, dass jedes Ihrer Worte von weittragender Bedeutung ist. – Schon Pfingsten ließ mir die Mutter in Schönstatt eine leise Mahnung zugehen, als wir nämlich von den Blättchen des ehrw. Vinzenz Pallotti eine Tugend ziehen durften, da traf mich die Großmut des Geistes! Was ist das anderes als das Hinauswachsen über das Mittelmaß, jener Höhenflug des Adlers, von dem Sie sprechen. Recht haben Sie auch, wenn Sie sagen, dass für einen normal ordentlichen Christen ein von schwerer Sünde freies Leben leicht sei, der Aufstieg aber sehr schwer. Es ist so. Jedes Hindernis von außen (der Umgebung usw.) ist uns ein willkommener Entschuldigungsgrund, um die Lauheit zu verdecken, zu verstecken. Gerade mir geht es z.B. immer wieder so, um nicht Ärgernis u. Anstoß, Spott u. Missbilligung herauf zu beschwören, gebe ich nach u. bleibe beim mittelmäßigen Christentum.
Mit einem biblischen Seitenblick auf den reichen Jüngling, der die Trauer des Nicht-Los-Lassen-Könnens von irdischen Gütern tief erlebt hat, gibt Gertraud zu, dass das Empfinden dieser Trauer eine reinigende, ja positive Funktion haben kann, um einen Flug in die Höhe zu starten:
Glücklich aber ist die Seele dabei nicht. Die Trauer, wie der reiche Jüngling sie empfunden, hält auch sie umfangen, die Ketten, die sie an die Erde, an Irdisches fesseln, sie drücken u. schmerzen. Gottlob, dass sie es tun, so besinnt sich die Seele endlich, dass sie Flügel hat, u. – vom Sturm befreit, entschwebt sie nach oben!
Daher ihre Freude, dass sie in der Gemeinschaft des Bundes Gleichgesinnte hat, die diesen Weg immer neu beginnen: aus Trägheit und Lethargie heraus und hinauf in die Höhe der gesetzten Ziele und Ideale, die Gertraud mit Heiligkeit gleichsetzt:
Der Bund soll Adlerseelen schaffen! Wie hat dies Wort mich emporgerissen, ja, es muss sein, wir müssen den Heroismus wollen, wollen lernen! Die Natur wird sich hart dagegen wehren, aber wir brauchen ganze Menschen, die den Mut haben, auch vor andersdenkenden Menschen heilig werden u. sein zu wollen.
Die Voraussetzung dafür, den eigentlichen „Motor“ sieht sie in der Opfergesinnung, für die Gertraud einen besonderen „Drang“ gehabt hat. Sie macht sie uns verständlich mit dem Bild des Feuers, welches – im Verbrennen – die Energie spendet. Selber befindet sie sich auf dem Weg dahin, diese „Opfergesinnung“ mehr zu durchdringen und im Alltag zu praktizieren.
Feuer u. Blut – Liebe u. Opfer, das ist das Ziel. Mit dem Opfer aber heißt es beginnen, denn nur das Opfer kann die Glut entfachen, derer wir bedürfen, um höher zu steigen. – In dem kleinen Blättlein, das Jesu Aussprüche u. Lehren an Schw. Benigna… enthält, heißt es: “Mit Nichtstun werden keine Seelen gerettet… Du musst stets in einem Zustand des Opfers sein…” Ich glaube, wenn wir das erstreben u. erreichen, dann weiten sich die Flügel unserer Seelen, u. wir vermögen uns, dem Adler gleich, über die Erde zu erheben.
Dabei bleibt Gertraud ganz menschlich. Sie möchte diese „Voraussetzung“ des Höhenflugs besser verstehen und übt sich in kleinen Dingen, die der Alltag mit sich bringt. Sie bittet ihren Briefpartner ums Gebet:
Ein Zustand des Opfers – wie schrecken wir bei diesem Gedanken zusammen, wie sind wir so kleinmütig und verzagt, u. doch finden wir in des Herzenstiefe eine stille Sehnsucht danach, die Gott hineingelegt. –
Ich für meinen Teil habe jetzt im November begonnen, mich im Opfern zu üben, Kleinigkeiten nur sind es, u. ich hoffe, dass mein Blick sich schärft u. deren immer mehr entdeckt, vielleicht schicken Sie mir manchmal Ihres hl. Segens stille Kraft, damit ich der Gnade, eine Adlerseele zu werden, würdig werde. Dafür sollen Sie stets in mein Tagewerk eingeschlossen sein, so recht u. schlecht es halt ist. Aber die Mutter muss es recht machen, nicht wahr? –
Dr. Alicja Kostka