Neben der „Impf-Ungeduld“ gehört die neue Wortschöpfung: „Corona-Müdigkeit“ zu diesen Begriffen, die die Zeit der Pandemie und des erneuten Lockdowns zunehmend prägen. Jeder von uns kennt die Anstrengung, die notwendigen Anordnungen solidarisch einzuhalten für das Wohl aller Beteiligten. Wir erleben, wie es sich anfühlt, der Gefahr der Infizierung ständig ausgeliefert zu sein oder gar selbst eine Gefahr für andere zu sein. Vielleicht haben auch Sie am eigenen Leib erfahren, was die Covid-19-Erkrankung bedeutet oder gar selbst einen oder mehrere liebe Menschen durch die Corona-Erkrankung verloren.
Gertraud – eine Gründergestalt unter erschwerten Bedingungen
Wenn wir auf Gertraud schauen, stellen wir fest, dass ihr solche oder ähnliche Erfahrungen nicht fremd waren. Als junge Frau hat sie sich während ihres Lazarettdienstes im Ersten Weltkrieg mit Tuberkulosebakterien infiziert. Die Tuberkulose, der viele Krankenschwestern und Pfleger im Krieg zum Opfer gefallen sind, brach kaum vier Wochen nach ihrer Weihe am 8. Dezember 1920 an die Dreimal Wunderbare Mutter von Schönstatt aus. Im Januar 1921 wurde bei ihr die Krankheit diagnostiziert. Acht Wochen musste Gertraud in dieser Zeit das Bett hüten, wie ihr Biograf Nikolas Lauer schrieb. Noch im selben Jahr musste sie zur Kur nach Bad Lippspringe. Folglich hat sie die ganze Gründungszeit der Frauenbewegung Schönstatts und des Aufbaus des Frauenbundes als Kranke eingeschränkt erleben, durchstehen und durchleiden müssen. Eine Zeit, die sie nach ihren Anfangsplänen mit aller Kraft und vollem Einsatz aktiv mitgestalten wollte.
Einsatz für Gott und seine Pläne, wie Er es sich wünscht
Durch die Krankheit war Gertraud zunächst zur Untätigkeit verurteilt. Dabei war es die Zeit, in der die Gründung der Frauenbewegung Schönstatts Kreise zog. Die ersten Gruppen formierten sich gerade im Frühjahr 1921. Für den Sommer 1921 wurde die erste gemeinsame Frauentagung in Schönstatt geplant. Diese Zeit erforderte volles Engagement aller Beteiligten. Durch die erneuten Ausbrüche der TBC waren Gertrauds physischen Kräfte eingeschränkt und ihr Einsatz erschwert. Auch konnte sie am Leben der entstehenden Gemeinschaft nicht so teilnehmen, wie sie sich das gewünscht hätte. Trotzdem hat es ihr nie am inneren und äußeren Elan gefehlt. Mit ihrer ganzen Person stand sie von Anfang an für den „Apostolischen Bund Frauen“ und hat Führungsaufgaben übernommen.
Faszination-Schönstatt – die „innere Infizierung“ überwiegt
Die Faszination Schönstatts, mit der sie sich ebenfalls während des Krieges „angesteckt hatte“, war jedoch stärker. Sie hat ihr geholfen, die schwierige Zeit durchzustehen und aus allem Schweren ein Geschenk – einen Beitrag für das „Gnadenkapital der Dreimal Wunderbaren Mutter“ – zu machen. Für das Werden und Wachsen und für die Zukunft dieser neuen Gemeinschaft.
Bei den Treffen in Schönstatt achtete sie sehr darauf, dass sie mit ihrer Krankheit für keine Beteiligte eine Gefahr war. Sie hat ihr Zimmer, die Gegenstände, die sie benutzte, das Bett, ihr Besteck sorgfältig selbst desinfiziert. Die beschränkten Möglichkeiten, an Treffen des Apostolischen Bundes teilnehmen zu können, hat sie zu einem umfangreichen Briefapostolat bewogen. Eine Unmenge von individuellen Briefen, aber auch inhaltsreichen und gut strukturierten Gruppenbriefen zeugen von der inneren Entwicklung, von dem Geist, der sie bewegt und dem sie Raum gegeben hat. Der Geist des Anfangs findet in ihnen einen bleibenden Niederschlag. Und gerade die umfangreichen Briefe Gertrauds sind es, in denen wir ihrer Person immer wieder begegnen, so dass Generationen daraus weiter schöpfen können.
Gertraud – eine Begleiterin in der Zeit der Pandemie
Wie fühlt es sich an, infiziert zu sein? Keine überschaubare Zukunft vor sich zu haben? Sie folglich nur ganz in die Hände Gottes legen zu müssen?
Wie fühlt es sich an, längere Zeit in Quarantäne bleiben zu müssen? Eine Gefahr für andere zu sein? Was bedeutet es dann schon, sich die Hände desinfizieren zu müssen?
Wie fühlt es sich an, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein? Eingeschränkt zu sein? Der Krankheit ausgeliefert zu sein?
Gertraud hat es erlebt. So kann sie uns heute in dieser Zeit der Pandemie eine Begleiterin sein. Sie kann uns Vorbild darin sein, die eingeschränkten Möglichkeiten und ermüdende Zeit effizient, von innen her zu erleben, das Beste daraus zu machen, den Gott des Lebens – auch im Schweren und Unverständlichen – zu finden. In einem Brief schreibt sie rückblickend auf die Zeit ihres Krank- und Isoliertseins:
Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass körperliche Unpässlichkeiten und äußerliche Misserfolge uns stark hemmen. Ich kann Sie aber auch aus Erfahrung versichern, dass, selbst wenn wir ganz darnieder liegen, getroffen von der Wucht des Kreuzes, dass es trotzdem die größten Gnadentage sind, die wir durchleben dürfen. Ich möchte z. B. keinen meiner Krankheitstage hergeben, obwohl sie mir so viel raubten, was mir als Lebensinhalt dünkte, sie haben mir Reicheres gebracht – Gottesnähe! Nicht immer, aber oft. Darum halte ich auch jetzt still, wo meine Seele in Dunkelheit liegt, einmal werde ich auch wieder mit Händen greifen dürfen, dass es Gnadentage waren.1 – Mein innigster Wunsch ist es, dass sie auch Ihnen unversiegbare Gnadenbronnen werden! – (Aus einem Brief an Nikolas Lauer, 3.März 1923).
Dr. Alicja Kostka